Eigentlich ist es erstaunlich, dass sich erst in vergleichsweise jüngerer Zeit Zahnärzte nicht nur mit den Zähnen, den Kieferknochen, der Mundmuskulatur und der Mundschleimhaut befassen, sondern auch mit dem, wofür diese ganzen Körperteile zuständig sind: dem Essen. Schließlich hat auch die Art der Ernährung die Zähne geformt, und anhand verschiedener Zahnformen kann selbst Jahrtausende nach dem Tod eines Lebenswesens erkannt werden, wovon es sich hauptsächlich ernährt hat. Vor wenigen Wochen veröffentlichten nun führende deutsche zahnmedizinische Wissenschaftler eine Übersicht zum Thema Ernährung in einem renommierten zahnärztlichen Fachjournal. Ernährung habe eine erhebliche zahn/medizinische, wissenschaftliche, ökonomische, ökologische und auch eine politische Bedeutung, so ihre Bilanz. Ihr Blick galt vor allem solchen Bestandteilen der Nahrungsaufnahme, die auch zahnärztlich weit vorne im Blickpunkt liegen, hier insbesondere der Zucker, aber auch Mikronährstoffe und Vitamine. Ihre Bilanz: Was im Mund schadet, wie beispielsweise Zucker, hat weit über den Mund hinaus Auswirkungen auf die Allgemeingesundheit – Ernährung müsse daher noch mehr als heute schon aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden, dazu gehöre auch der zahnmedizinische. Insofern erweitere sich auch das zahnärztliche Behandlungsspektrum um den Aspekt Ernährungsberatung, beispielsweise um Hinweise rund um Chancen und Risiken von Diäten.
Moderne bildgebende Verfahren erlauben heute immer weiter gehende Blicke auf mikroskopisches Geschehen im Körper – und führen daher dazu, dass man immer mehr über Zusammenhänge weiß und bei kritischer Entwicklung sinnvolle Lösungsansätze findet. Auch rund um das Kariesgeschehen gibt es immer mal wieder neue Erkenntnisse. Vor wenigen Wochen veröffentlichten Wissenschaftler einer US-amerikanischen Universität Ergebnisse ihrer Beobachtung des Mund-Biofilms, also der Bakterienkultur, die als „Plaque" auf den Zähnen liegt. Längst identifiziert als Verursacher von Karies ist das Bakterium Streptococcus mutans (S.mutans). Diesmal interessierte die Wissenschaftler, wie diese Plaque eigentlich aufgebaut ist, ob sie eine Struktur hat und wenn ja, welche. Was sie fanden, sieht so ähnlich aus wie das Corona-Virus: im Kern davon S.mutans. Außen herum angelagert: eine Schicht anderer Mikroben. Bei vertiefenden Tests wurde nun auch erkennbar, warum S.mutans zu Recht als Kernproblem für Zahnschmelzschäden erachtet wird: Während alle anderen Bakterienarten im Zahnbelag sich zahnschmelz-neutral verhielten, gab es da, wo Kontakt von Zahn und S.mutans bestand, säurebedingte Schmelzauflösungen. Mit einer Art Haus, einer Hülle, baut sich das Bakterium einen Schutz gegen Angriffe von außen. Behandlungskonzepte, die den Keim im Mund reduzieren sollen, müssen also erst einmal die Tür dieses Hauses öffnen. Dass es Sinn macht, den Belag so komplett wie möglich durch Mundhygiene zu entfernen, wird durch die Studienergebnisse weiter untermauert.
Wenn Ober- und Unterkiefer nicht passgenau gegenüberstehen, kommt es zu Kontaktproblemen: Es ist leicht nachvollziehbar, dass mit einem derartigen Problem auch verschiedene Schmerzen einhergehen. Treffen zwei Zähne unnatürlich aufeinander, kann dies zu heftigem Druckschmerz führen, zu Kopfschmerzen, zu einer Störung der Kiefermuskulatur und auch der Kieferbewegungen. Aber bei körperlichen Beschwerden bleibt es oft nicht, wie verschiedene Studien zeigen, über die kürzlich ein zahnärztliches Journal berichtete: Manche Menschen werden durch ihre Kieferfehlstellung dermaßen belastet, dass sie eine Depression entwickeln. Wie die Studien zeigen, ist zwar – bei leichteren Zahnfehlstellungen – mit einer Zahnschutzschiene oft bereits eine erste leichte Besserung erreicht, an sich aber muss meist verschiedene Fachexpertise in die Behandlung einbezogen werden. Dabei geht es darum, nicht nur den Grund der individuellen Fehlstellung zu erkennen, um ansatzgerecht medizinisch behandeln zu können, sondern auch den Grund für die seelische Belastung. Insofern empfehlen die Wissenschaftler eine interdisziplinäre Behandlung, bei der Kieferorthopäden steuernd mitwirken und ihre spezifische Erfahrung einbringen, die Zusammenarbeit mit Pharmakologen hinsichtlich einer passgenauen medikamentösen Begleitung, möglicherweise auch die Einbeziehung von Kieferchirurgen für anpassende Eingriffe, von Psychotherapeuten für das Einüben von Verhaltensänderungen und von Akupunktur-Experten, die beispielsweise begleitende Verspannungen lockern könnten. Der Aufwand ist groß, der Bedarf aber auch: Für viele Patienten ist die Lebensqualität erheblich eingeschränkt mit nachhaltigen Folgen auch für ihre weitere Gesundheit.
Auch die Dachgesellschaft der deutschen zahnmedizinischen Wissenschaft, die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kiefererkrankungen (DGZMK), hat sich mit Corona, Ursachen und Folgen befasst. Ihr Resümee, das sie vor Kurzem in einer großen zahnärztlichen Fachzeitschrift veröffentlichte: Eine gesunde Mundhöhle ist eine gute Barriere gegen Krankheiten ganz allgemein und auch gegen den Corona-Virus Sars-CoV-2. Ein gesunder Mund biete eine starke Abwehrkraft am relevanten Ort der Entstehung der Erkrankung: im Mund- und Rachenraum. Die Infektion könne durch gesundes und intaktes Mundgewebe reduziert und ihr Verlauf abgeschwächt werden. Liegt dagegen eine Parodontitis vor, also eine Zahnbettentzündung mit vielen offenen Schnittstellen zu Blutgefäßen, öffne dies den Viren „Tür und Tor" zum Eindringen in den Körper. Für Patienten bedeute ein gesunder Mund daher auch hinsichtlich der Infektionsabwehr ein großes Plus – Präventionsangebote in der Zahnarztpraxis sollten daher auch aus Infektionsschutzgründen angenommen werden. Erste Studien zeigten zudem, dass der Nachweis einer Infektion mit dem Corona-Virus über einen Speicheltest besser erkennbar sei als über den heute noch üblichen Rachenabstrich. Hier müsse weiter an praxisnahen Angeboten geforscht werden.
Insbesondere in chirurgisch ausgerichteten Zahnarztpraxen gehört der Blick auf den Knochen (in diesem Fall: im Kiefer) zum Arbeitsalltag. Ehe dort therapeutisch gearbeitet wird, wird in der Regel ein Röntgenbild bzw. ein OPG (Orthopantomogramm, auch „Panoramaschichtaufnahme" genannt) angefertigt. Ziel ist: Ehe man in dieser Region arbeitet, muss man wissen, in welchem Zustand sich der Kieferknochen befindet. Kann man beispielsweise ein Implantat setzen, ist der Knochen stabil genug – oder ist er porös und weist auf eine bisher nicht erkannte Erkrankung hin? Genau diesen Punkt arbeitete eine Wissenschaftlergruppe heraus und stellte, wie eine Veröffentlichung in einer Zahnärzte-Zeitschrift vor wenigen Wochen zeigte, fest: Die bildgebenden Verfahren in der Zahnarztpraxis, darunter auch das DVT (Digitaler High-Tech Volumentomograph), können sehr gut darstellen, ob die Konsistenz des Knochens fest oder angegriffen ist. Und wenn die Situation gut erkennbar ist, können Zahnärzte auch bei der Früherkennung von dünner und poröser werdendem Knochen (Osteoporose) helfen: Nicht selten sind Patienten öfter und früher bei ihrem Zahnarzt als dass sie mit ihrem Hausarzt über solche Symptome reden. Sind Zahnärzte darin geschult, diese Knochen-Veränderungen auf den Bilden zu erkennen, können sie dazu beitragen, dass Osteoporose-Patienten frühzeitiger in fachgerechte Behandlung kommen.
Genaugenommen ist der Mund ein ziemlich gut austariertes Biotop: Eine kaum überschaubare Menge an nützlichen und auch weniger nützlichen, bis hin zu Munderkrankungen fördernden Bakterien sorgt dafür, dass das Gleichgewicht gewahrt bleibt: Bakterienfamilien bekämpfen sich untereinander, und solange „die Guten" dabei gewinnen, stehen die Zeichen für die Mundgesundheit auf grün. Was viele Patienten nicht wissen: Man kann mit bestimmten Lebensmitteln „den Guten" die Arbeit erleichtern. In einer zahnmedizinischen Zeitung erschien kürzlich dazu ein interessanter Beitrag. Demnach haben Wissenschaftler der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie bei einer Tagung darüber berichtet, dass sogenannte Probiotika eine nützliche Rolle für die Lebensgemeinschaft der Bakterien spielen. Beispielsweise können offenbar entsprechende Milchpulver-Produkte die Anzahl kariesbildender Bakterien reduzieren und das Kariesgeschehen bremsen. Und auch, wenn man noch nicht genau belegen konnte, warum das so ist, zeigte sich doch, dass probiotische Medikamente bei Parodontitis dazu beitragen, das Ausmaß der entzündeten Zahntaschen zu mildern – ähnlich stark wie bei lokalen Antibiotika-Gaben.
Am besten wäre es, man könnte heute schon genau sagen, warum es manchmal zu einer Zahnbildungsstörung bei Kindern kommt und die Zähne zu bröckeln scheinen: Dann hätte man auch einen besseren Ansatz, um diese „MIH" genannte Entwicklung zu verhindern. Was genau eine MIH („Molaren-Inzisiven-Hypermineralisation") auslöst, dazu gibt es nach wie vor keine eindeutigen gesicherten Erkenntnisse, nur eine derzeit noch wachsende Liste an möglichen Ursachen. Dafür ist man aber bei der Frage, wie man diese Bröckelzähne am besten behandelt, inzwischen einen deutlichen Schritt weiter. Wie ein vor wenigen Wochen veröffentlichter Fachartikel in einer zahnärztlichen Fachzeitschrift deutlich macht, haben Münchner Wissenschaftler beobachtet, dass sogenannte adhäsive („klebende") Komposit-Füllungen die bisher am zufriedenstellendsten Ergebnisse lieferten. Komposite sind weiche Füllmaterialien mit einer Art Netz aus Kunststoff und darin eingebauten anorganischen Füllkörpern. Dieses Material passt sich den Löchern und Absprengungen auf dem Zahnschmelz an und gleicht diese aus.
Längere Zeit war das fast eine Grundregel in der Implantologie: Patienten mit bestimmten Erkrankungen, bei denen eine Implantation als riskant erachtet wurde, wurden eher in Ausnahmefällen mit implantatgestütztem Zahnersatz versorgt. Das hat sich inzwischen geändert: Wie Prof. Dr. Dr. Stefan Schultze-Mosgau bei einer Fortbildungsveranstaltung der wissenschaftlichen Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI) kürzlich berichtete, sind Implantate heute auch bei Patienten mit beispielsweise Diabetes mellitus, schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Osteoporose einsetzbar. Es sei wichtig, dass man nicht nur bei neuen Patienten in der Praxis auf dem Anamnesebogen erfasst, welche weiteren Erkrankungen der Patient aufweist, sondern auch bestehende Patienten müssten nach gesundheitlichen Veränderungen befragt werden bzw. diese dem Praxisteam mitteilen. Je nach gesundheitlicher Belastung des Patienten und verordneten Medikamenten muss das Vorgehen für eine Implantatversorgung individuell geplant werden, in einigen Fälle ist es auch sinnvoll, wenn das Implantologie-Team den Hausarzt in die Planung mit einbezieht. Für bestimmte Erkrankungen, die beispielsweise zu Heilungsstörungen führen können, hat die DGI zusammen mit weiteren Experten Behandlungsleitlinien erstellt, auf die das Praxisteam zurückgreifen kann. So ist es heute weitgehend gut fachlich abgesichert möglich, einen zahnlosen Patienten auch dann mit festen Zahnwurzeln (Implantaten) zu versorgen, wenn er aufgrund seines Diabetes mellitus bisher auf diese komfortable Zahnersatzlösung verzichten musste.