Unter dem Hashtag #ErnährungswendeAnpacken! haben sich mittlerweile mehr als 15 Organisationen und Fachverbände aus dem Bereich Gesundheit, Ernährung, Umwelt und Soziales zusammengeschlossen mit dem Ziel, bei der Bundesregierung das Einsetzen einer Arbeitsgruppe „Zukunftskommission Ernährung" zu erreichen. Mit dabei ist inzwischen auch die Bundeszahnärztekammer als Dachorganisation der Zahnärzteschaft in Deutschland, die sich bereits seit Jahrzehnten beispielsweise für Zuckerreduzierung in der Ernährung engagiert, vor dem Missbrauch von Babyfläschchen zum Dauernuckeln (zumal bei säurehaltigem Inhalt) warnt und den Zusammenhang von gesunder Ernährung und Mundgesundheit in vielfältigen Studien belegt hat. Am derzeitigen Ernährungssystem gebe es viel zu optimieren, so die Organisationsgemeinschaft, unsere Ernährung sei ebenso ungesund wie unsozial und zudem sowohl klima- als auch umweltschädlich.
Zu Jahresbeginn erinnerte eine große zahnärztliche Fachzeitschrift daran, dass sich der Weltzahnärzteverband FDI vor bereits vier Jahren für Nachhaltigkeit in der Zahnmedizin ausgesprochen hatte – insbesondere mit dem Blick auf Technik und Produkte im Praxisalltag. Einige Schritte in die richtige Richtung sind bereits erfolgreich getan – andere müssten noch folgen. Beispielsweise habe sich schon in vielen Praxen der Verzicht auf Einwegmaterialien durchgesetzt. Auch konnte moderne Technik für einen geringeren Strom- und Wasserverbrauch sorgen. Ebenfalls auf gutem Weg: die Reduzierung des Einsatzes von Papier. Was eine aktuelle Studie aber auch zeigte: Rund zwei Drittel am CO2-Fußabdruck einer Zahnarztpraxis fällt nicht in der Praxis an, sondern durch den Pendelverkehr der Mitarbeiter zum und vom Arbeitsplatz. Nur ein Drittel betrifft den Praxisbetrieb selbst – davon zur Hälfe den Energieverbrauch und zur anderen Hälfe den Bereich Technik und Verbrauchsmaterialien. Für den letzten Punkt hat die Dentalindustrie in Deutschland mit der Bundeszahnärztekammer das Ziel „mehr Umweltfreundlichkeit" verabredet – bei Beibehaltung der Funktionssicherheit. Leichter erreichbar sind Einsparungen beispielsweise bei Verpackungsmaterialien und beim Reduzieren von Abfall. Auch lange Transportwege für Einmalprodukte belasteten die Umwelt. Wettbewerbe wie „die grüne Praxis" förderten die Entwicklung und unterstützten die Motivation.
Auch im Bereich des Mundes spielen Infektionen und entsprechende Therapeutika, die diese Entzündungen zurückdrängen sollen, eine Rolle. Einerseits werden solche Arzneimittel eingesetzt, um bereits bestehende Infektionen auch „von innen" zu behandeln. Andererseits werden in entsprechenden Fällen Antibiotika auch prophylaktisch gegeben, um bei anstehenden invasiveren Eingriffen in Kieferknochen und Gewebe Infektionen vorzubeugen und damit – nur beispielsweise – Patienten mit Herzklappen vor den durch den Blutkreislauf herumwandernden Keimen aus dem Mund zu schützen. Ein Vorgehen, das nachvollziehbar und sinnvoll erscheint – aber auch eines, das ebenso viele Chancen wie Risiken birgt: Die Anzahl resistenter Keime, auch im Bereich der mundtypischen Bakterien, wächst ständig. Wie eine aktuelle Studie einer weltweit arbeitenden Fachgesellschaft für Antibiotika-Resistenzen ergab, hätten allein im Jahr 2019 mehrere hunderttausend Todesfälle vermieden werden können, wenn man die Erkrankten hätte sachgerecht medikamentös therapieren können – was nicht möglich war, weil die entsprechenden Krankheitsverursacher resistent gegen Antibiotika waren. Insbesondere Lungenentzündungen werden immer kritischer, da hier besonders häufig resistente Keime vorzufinden sind. Die Aussichten der genannten Fachgesellschaft für die Zukunft sind eher dramatisch. Schon heute zeigen sich auch bei Infektionen im Zahngewebe (Parodont) erste resistente Bakteriengruppen. Die moderne Zahnmedizin empfiehlt entsprechend, vor Einsatz eines Antibiotikums, das nachweislich eine gute Wirkung hätte, abzuwägen, ob es nicht auch andere Wege zur Reduzierung der Keimbelastung gibt – weltweit müsse gemeinsam dafür gekämpft werden, den sehr gut wirkenden Antibiotika ihre Kraft zu erhalten und nicht durch zu große Verbreitung und sich dadurch entwickelnde Resistenzen zu nehmen.
Dass die Zahnärzteschaft immer wieder auf die Risiken hinweist, die sich durch die Mundgewebe-Infektion Parodontitis für die allgemeingesundheitliche Lage des Körpers ergeben, ist eher erwartbar – dass, wie jüngst, aber auch andere Fachgesellschaften die Parodontitis als Risikofaktor sehen und bewerten, beweist, dass die Zahnärzteschaft mit den Warnungen richtig liegt. Nachdem bereits in zurückliegenden Zeiten unter anderem weltweit renommierte kardiologische Verbände auf die kritischen Folgen für Herzinfektionen verwiesen hatten und Diabetes-Fachverbände dies für die „Zuckerkrankheit" ebenfalls bestätigten, hat nun auch die Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik die Parodontitis in den Blickpunkt genommen. Hintergrund ist eine in Großbritannien jüngst erschienene Studie an rund 9500 Endoprothetik-Patienten: Diese hatte ergeben, dass Bakterien aus der Mundhöhle beispielsweise auch Bereiche mit einer „neuen Hüfte" oder einem „neuen Knie" infizieren können. Insofern ist nachvollziehbar, dass die Fachgesellschaft für Gelenkersatz-Medizin dazu aufruft, die sorgfältige Zahnpflege und regelmäßige Mundhygiene unbedingt ernst zu nehmen.
Schon kurz nach Auftreten der ersten Covid-Erkrankungen hatte sich gezeigt, dass der Mund als Eingangsbereich zum Körper eine besondere Rolle bei der Infektion mit dem Sars-Cov-2-Erreger spielt: Nicht nur fanden die Viren hier einen schnellen und direkten Zugang zu den Atemwegen, sondern die Zellen der Mundschleimhaut, aber auch Infektionsstellen rund um den Zahn trugen die Viren in viele verschiedene Bereiche des gesamten Körpers. Dass es sich bei Corona nicht vorrangig um eine Atemwegs-Infektion handelt, hat sich recht bald gezeigt: Betroffen und oft nachhaltig in ihrer Funktion gestört sind sehr viele verschiedene Bereiche und Strukturen im gesamten Körper. Inzwischen werden auch erste Beobachtungsstudien zum weiteren Verlauf und Verhalten der Viren im Körper – in Verbindung mit dem Mund – publiziert, und damit werden die Zusammenhänge sogar noch deutlicher. So hat sich beispielsweise bei mehreren Studien gezeigt, dass Menschen, die zu den Parodontitis-Patienten zählen, im Falle einer Covid-Erkrankung ein signifikant höheres Risiko für einen Verlauf mit Komplikationen haben als Patienten ohne diese chronisch-entzündliche Munderkrankung. Wie eine dieser Studien ergab, war der Anteil an Patienten in intensivmedizinischer Behandlung oder gar mit Beatmungsbedarf bei Parodontitis-Erkrankten sogar dreifach höher als bei den Patienten mit parodontal gesundem Gewebe. Ungünstigerweise zeigte sich zugleich, dass eine Covid-Infektion auch die bestehende Parodontitis weiter verschlimmerte.
Für viele Menschen ist das eine sehr gute Nachricht zum Start in das Jahr 2022: Die „Unterkieferprotrusionsschiene", landläufig „Schlafschiene" genannt, ist seit dem 1. Januar dieses Jahres Kassenleistung. Das bedeutet: Die Krankenkassen erachten das Verfahren als erfolgreich genug, um in den Katalog der Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen zu werden. Davor steht eine intensive und oft langjährige Prüfung, denn immerhin ist es das eingezahlte Geld aller Kassenmitglieder, das in die Behandlung investiert wird, und dann muss diese Ausgabe auch gerechtfertigt und belegt sein. Nach vielen Jahren der Diskussion, Studien und des Verhandelns hat die „Schlafschiene" nun die Prüfung bestanden und steht den Patienten als Kassenleistung zur Verfügung. Genutzt wird diese Schiene beispielsweise bei nächtlichen Atmungsstörungen, insbesondere bei Atmungs-Aussetzern (obstruktive Schlafapnoe), um die beiden Kiefer so zu positionieren, dass – beispielsweise – in der Entspannungsphase des Schlafes die Zunge nicht in den Mund rollt und störend den Atemfluss blockiert. Unbehandelt kann eine Schlafapnoe zu Tagesschläfrigkeit, Konzentrationsschwäche und zu Unfällen am Arbeitsplatz oder im Straßenverkehr führen. Zudem kann sich durch die anhaltende Schlafstörung Bluthochdruck entwickeln, der zu einem Infarkt von Herz oder Hirn führen kann. Bei der Behandlung der Schlafapnoe arbeiten Ärzte und Zahnärzte zusammen – mit der „Schlafschiene" steht nun ein weiterer Weg zur Verfügung, die Situation für die betroffenen Patienten auch durch Kostenübernahme zu verbessern.
Wie eine Auswertung einer Vielzahl weltweit erstellter Studien zum Thema Zahnverschleiß und sozialer Hintergrund gezeigt hat, ist der Bildungsstatus der Eltern allein kein Garant für die Zahngesundheit ihrer Kinder. Die Frage, inwiefern die soziale Situation einer Familie in Zusammenhang steht mit der Mundgesundheit der Kinder, hat eine Gemeinschaftsarbeit unter Leitung eines Forschungsinstitutes in Singapur kürzlich bearbeitet und im Ergebnis insofern beantwortet, als das tatsächliche Ernährungsverhalten der Kinder ausschlaggebend für den Gesundheitszustand der Zähne ist. Es zeigte sich, dass – je nach Welt-Region – Kinder aus wohlhabenderen Familien möglicherweise sogar gefährdeter sind als Kinder aus vergleichbar ärmeren Verhältnissen. In manchen Gegenden der Welt haben nur Kinder aus reicherem Hause Zugang zu einer Vielzahl an stark gesüßten Lebensmittelprodukten, beispielsweise Energy-Drinks, Fertigsäfte und allerlei Brausegetränke. In solchen Gegenden hatten oft Eltern mit gehobenem Sozialstatus zwar ein geringeres Zahnverschleiß-Risiko als Eltern mit geringerem Sozialniveau – auch, weil sie besseren Zugang zu Zahnarztpraxen mit entsprechenden Präventions- und Behandlungsangeboten haben. Allerdings: Das erlebte man nicht bei den Kindern der Bessergestellten, die aufgrund der ungesunden Ernährung unerwartet deutlichen Zahnverschleiß aufwiesen. In vielen der untersuchten Studien war die zahngesundheitliche Situation der Kinder aus Familien mit höherem kaum besser als die von Kindern aus niedrigerem Status, deren Zahnschäden ebenfalls vor allem auf ungesunde Ernährung und nicht ausreichende Mundhygiene zurückzuführen waren sowie auf herausfordernde Faktoren wie Stress, seelische Belastungen und nicht Erreichbarkeit kontinuierlicher zahnärztlicher Betreuung.
Rund 1,7 Millionen Menschen in Deutschland gelten als an Demenz erkrankt, einem neurologischen Krankheitsbild mit verschiedenen Ausprägungen. Wie ein kürzlich veröffentlichter Artikel in einer zahnmedizinischen Fachzeitschrift zeigt, führen die mentalen Einschränkungen auch zu verschiedenen Risiken für Zähne und Gewebe: Beispielsweise können an Demenz Erkrankte nur noch schwer riechen und schmecken, bevorzugen also besonders stark gesüßte und gesalzene Lebensmittel. Ohne eine sehr sorgfältige und kontinuierliche Mundpflege, die viele dieser Patienten selbst nicht mehr leisten können, gehen viele Zähne an Karies verloren. Zahnverlust bis hin zu kompletter Zahnlosigkeit tritt bei solchen Betroffenen häufiger auf als bei gleichaltrigen Nicht-Erkrankten. Aufgrund nicht selten unzureichender Mundhygiene haben demente Menschen häufiger als gesunde eine Zahnbettentzündung (Parodontitis), die durch die über die Blutbahn gestreuten Parodontitis-Bakterien außerdem möglicherweise sogar eine schneller voranschreitende Demenz erleiden: Der Abbau des geistigen Leistungsvermögens war der Studie zufolge bei Vorhandensein einer Parodontitis um das sechsfach beschleunigt. In Fortbildungen werden Zahnärzte und ihre Teams entsprechend geschult, demente Patientinnen und Patienten ihrem gesundheitlichen Zustand entsprechend zu behandeln.